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Fr, 4.1.2019 Neu: Vier polyedrische Projektionen

2 mal aktualisiert, zuletzt So, 21.8.2022

Ich muss es zugeben: Für lange Zeit habe ich die polyedrischen Projektionen etwas stiefmütterlich behandelt. Der Hauptgrund dafür war, dass ich kein Programm hatte, mit dem ich Grafiken dieser Projektionen erzeugen konnte. Das hat sich nun dank Justin Kunimunes MapDesignerRaster geändert; und also will ich Versäumtes nachholen und stelle vier Projektionen dieses Typs vor.

Kunimune’s Mutated AuthaGraph Offspring

Den ersten Entwurf habe ich schon vor einer Weile in einem anderen Blogpost vorgestellt, aber nun habe ich ihn auch in die Auflistung meiner Website aufgenommen.
Es handelt sich um Justin Kunimunes Annäherung an Hajime Narukawas AuthaGraph World Map. Wenn man sich aber den direkten Vergleich zum Original in Kunimunes Text Reverse Engineering the AuthaGraph ansieht, fallen doch erhebliche Differenzen auf: Betrachtet z.B. die Ostküste von Südamerika!

Diese Differenzen aber bügeln sogar die Sache aus, die mich am Original am meisten stört: Der Größenunterschied zwischen Russland und China. In der Realität ist Russland etwa 1,7 mal so groß wie China, in der originalen AuthaGraph-Karte aber wächst Russland auf die ungefähr 3,4-fache Größe Chinas an! Natürlich ist das ein Extrembeispiel: Die Vermutung, dass sich die Flächenverzerrungen der AuthaGraph ähnlich verhalten wie die Winkelverzerrungen der van-Leeuwen-Projektion, liegt nahe. Soll heißen: Während deutliche Verzerrungen fast überall auf der Karte auftreten, ist die Varianz der Werte möglicherweise nicht so hoch wie bei anderen Projektionen. Nun landet aber China augenscheinlich fast komplett in Kartenbereichen mit Flächenverkleinerungen, während große Teile von Russland in Bereichen mit Flächenvergrößerungen landen. Und das führt schließlich zu dieser erheblichen Differenz zu den wahren Größenverhältnissen und stellt den Hauptgrund dar, warum ich der AuthaGraph die Bezeichnung »nah an der Flächentreue« verweigere.

Kunimunes Variante ist in diesem Punkt moderater: Hier nimmt Russland etwa 2,7 mal die Fläche Chinas ein. Immer noch eine deutliche Abweichungen, aber auch sichtbar näher an den tatsächlichen Verhältnissen. Das heißt nicht zwangsläufig, dass sie auch insgesamt (bei Berechnung eines Durchschnittswertes der Flächenverzerrung) näher an der Flächentreue ist – bedeutet aber etwas anderes, nämlich dass sie meiner Meinung nach zu weit vom Original abweicht, um von einer Approximation zu sprechen.
Aber wie sollte ich sie nun nennen?
Ich habe mich für Kunimune’s Mutated AuthaGraph Offspring (Kunimunes mutierter AuthaGraph-Nachkomme) oder kurz Kunimunes MAGO entschieden. Ich finde, das klingt gut – als Fan der X-Men-Comics mag ich Mutanten, und siehe da, sie hat sogar eine Superkraft: Die Verbesserung der o.g. Größenverhältnisse! ;-)

Meistens wird die AuthaGraph mit Afrika am linken Rand der Karte gezeigt, das ist aber keine zwingende Voraussetzung – im Gegenteil, es wird sogar betont (wie in dieser Illustration zu sehen ist), dass es ein Vorteil ist, sich einen beliebigen Ausschnitt aus der gekachelten Variante greifen zu können. Zur besseren Vergleichbarkeit mit anderen Projektionen habe ich mich daher entschieden, auf meiner Website den Ausschnitt zu zeigen, bei dem Amerika am linken Rand der Karte zu sehen ist.
Zur Vollständigkeit folgt hier Kunimunes MAGO aber auch noch einmal in der »Afrika-links«-Darstellung.

P.S.: Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass ich die originale AuthaGraph-Karte nicht auf meine Website aufnehmen kann, weil Narukawa die Formeln nicht veröffentlich hat, weshalb sie in keiner Kartenprojektions-Software verfügbar ist.

So, nach diesem AuthaGraph-Abkömmling haben wir nicht eine, nicht zwei, sondern drei Projektionen, die von Bernard J.S. Cahills Butterfly-Map inspiriert wurden.


Cahills Karte
Public Domain, Ausschnitt von The Butterfly Map

Waterman Butterfly Map

1996 veröffentlichte Steve Waterman eine Weltkarte, die aus einem auseinander gefaltetem »Globus« besteht, welcher auf einem Oktaederstumpf abgebildet ist. Das Ergebnis ist visuell ansprechende Weltkarte, die überdies erstaunlich geringe Verzerrungen zeigt (siehe unten). Dennoch würde ich sie vermutlich nicht für eine allgemein-geografische Karte nutzen, sondern eher für dekorative Zwecke. Aber vielleicht bin ich da auch nur zu konservativ?

Auf der Website habe ich diese Darstellung Waterman Butterfly (alternatives Arrangement) genannt, da die übliche, vom Urheber vorgesehene Darstellung etwas anders ist:
Antarktika wird von den vier Spitzen abgeschnitten und unterhalb der restlichen Projektion auf einer »Insel« wieder zusammengesetzt. Leider bietet die eingangs genannte Software dieses Arrangement nicht an, es lässt sich aber durch Ausschneiden und Einfügen aus den generierten Grafiken erzeugen. Die korrekte Anordnung sieht dann etwa wie folgt aus:

Üblicherweise wird dabei allerdings sauberer gearbeitet als ich es getan habe, weshalb dieses Bild auch nur in klein gezeigt wird. Runterskalieren verbirgt Unsauberkeiten. ;-)

Übrigens, Waterman kam die Idee zu seinem Design, während er an dichtesten Kugelpackungen arbeitete. Mehr Informationen zu diesem Themenkomplex:
Dichteste Kugelpackung in der deutschen Wikipedia;
die Waterman-Polyeder in der englischen Wikipedia;
Steve Watermans eigene Website (englisch);
– dort auch, etwas versteckt, die Projektionsmethode der Butterfly-Karte.

Cahill-Keyes-Projektion

Gene Keyes entwickelte seine Projektion ab 1975 und berief sich dabei ebenfalls auf Cahill, weshalb er sich entschied, sie Cahill-Keyes-Projektion zu nennen. Statt eines Schmetterlings entschied sich Keyes aber für eine M-förmige Anordnung. Erst später fand er heraus, dass auch Cahill selbst schon mit dieser Anordnung experimentiert hatte – dieses, und jede Menge detaillierter Informationen zu Cahills und Keyes’ Karten, ist auf Gene Keyes eigener (englischer) Website nachzulesen.

Auf den ersten Blick könnte man annehmen, Watermans und Keyes Projektionen wären identisch, wenn man die einzelnen »Blätter« oder »Flügel« (oder wie auch immer man das nennen mag) auseinander pflückt und anders wieder zusammensetzt – die Verteilung der Verzerrungen innerhalb der Blätter unterscheidet sich aber deutlich, wie wir noch sehen werden.

Für eine allgemein-geografische Weltkarte würde ich eher Keyes M-förmige Projektion nehmen als Watermans Schmetterling, aber das ist natürlich wiederum nur meine eigene Meinung. (Und ehrlich gesagt, würde ich letztendlich vermutlich keine von beiden nehmen.) Ansonsten bevorzuge ich im Vergleich zu Waterman zwar die Idee, dass Antarktika noch mit dem Rest der Welt verbunden ist – andererseits gefällt mir weniger gut, dass einige Teile der Antarktis doppelt dargestellt werden.

Cahill-Concialdi Bat Projektion

Luca Concialdi stellte seine Cahill-Concialdi Bat-Projektion (und dank Bruce Wayne muss ich das Wort Bat wohl nicht übersetzen, oder?) im September 2015 in einem Thread des Forums von mapthematics.com vor, fast ein Jahr später noch einmal auf cartotalk.com – das letztgenannte Forum wurde übrigens mittlerweile geschlossen und steht nur noch zum Lesen der alten Beiträge zur Verfügung aus dem Web entfernt. :-(
(Der Beitrag, allerdings ohne die gepostete Grafik, kann noch im Web-Archiv abgerufen werden.)
Anders als die beiden vorgenannten Cahill-Abkömmlinge handelt es sich hierbei um keine vermittelnde, sondern eine winkeltreue Projektion.

Concialdi hatte sein Werk auf graphischem Wege erstellt (ja, es geht auch ohne mathematische Formeln und dies ist auch nicht das erste derartige Beispiel in der Geschichte der Kartenprojektionen), Justin Kunimune erarbeitete aus der grafischen Vorlage die Formeln, so dass nun eine Software bereitsteht, um Projektionsgrafiken wie diese zu generieren:


Image by Luca Concialdi & Tobias Jung, CC BY-SA 4.0

Schon ästhetisch handelt es sich meiner Meinung nach um eine umwerfende Variante, aber sie hat auch bemerkenswerte Eigenschaften in Bezug auf die Flächenverzerrungen – wie wir noch sehen werden.
Zunächst aber möchte ich aus meiner persönlichen Kommunikation mit Luca Concialdi zitieren (natürlich mit Lucas Erlaubnis), in der er mir seine Hauptziele genannt hat:

  • The northern hemisphere must be united with no interruptions at all. As the biggest part of the continents are located in the northern hemisphere you should be able to virtually walk from Japan to Canada, passing through Russia, Scandinavia and Greenland without getting out of the map.
  • The only unavoidable interruption of the northern hemisphere must be the 170° east meridian. That meridian passes through Bering Strait, so Russia will remain practically uninterrupted.
  • New Zealand must be on the same map portions of Australia, as in almost all world maps.

Unfortunately, one land remains teared in two parts: Antarctica. I decided to keep this land split in two parts for two reasons: Firstly, to maintain the overall symmetry of the map; secondly, this land is exactly over one of the non-conformal points. This means that if you join the two parts (you can take two maps and place them side by side) you’ll see the big flaw: Antarctica loses its »round« shape and it’s quite bigger than it has to be.

  • Die nördliche Hemisphäre sollte nicht unterbrochen werden. Da der größere Teil der Kontinente in der nördlichen Hemisphäre liegen, sollte es möglich sein, virtuell von Japan nach Kanada zu wandern, dabei Russland, Skandinavien und Grönland zu durchqueren, ohne die Karte zu verlassen.
  • Die einzige, unvermeidbare Unterbrechen der nördlichen Hemisphäre sollte entlang des Meridians auf 170° Ost liegen. Dieser verläuft durch die Beringstraße, so dass Russland praktisch nicht unterbrochen wird.
  • Neuseeland sollte auf dem gleichen Kartenabschnitt landen wie Australien, wie auf fast allen Weltkarten.

Unglücklicherweise verbleibt ein Land, welches dennoch in zwei Teile zerrissen werden muss: Antarktika. Ich entschied mich dafür aus zwei Gründen: Erstens, um die allgemeine Symmetrie der Karte zu erhalten; zweitens liegt dieses Land exakt über zwei nicht-winkeltreuen Punkten. Das bedeutet: Wenn man die beiden Teile vereint (man kann zwei Karten direkt nebeneinander positionieren), sieht man die größte Unzulänglichkeit: Antarktika verliert seine »runde« Form und erscheint deutlich größer als es tatsächlich ist.

Hinweis: Es ist nicht ungewöhnlich, dass konforme Karten einzelne Punkte aufweisen, an denen die Winkeltreue nicht gegeben ist. Tatsächlich gilt dies sogar für fast alle winkeltreuen Projektionen.

Der folgende Abschnitt ist nicht mehr zutreffend, seit Version 3.4.1 erzeugt Kunimunes Software die Projektion wie von Concialdi beabsichtigt.

Es muss erwähnt werden, dass Kunimune eine etwas modifizierte Anordnung realisiert hat, welche zwar eine höhere Symmetry aufweist, allerdings auch mit Concialdis Hauptzielen kollidiert – zu Kunimunes Ehrenrettung sei gesagt, dass ihm die o.g. Ziele wahrscheinlich so nicht bekannt waren. Dies ist die Konfiguration, wie sie von der Software gerendert wird:

Glücklicherweise kann man Concialdis Arrangement aus diesem Export gewinnen, in dem man ein bisschen »Copy & Paste« vornimmt, wie im folgenden Schema gezeigt. Die dunkleren Bereiche der Karte werden ausgeschnitten und an der Stelle der helleren Bereichen eingesetzt.
Abschließend wird die gesamte Karte dann noch um 5,5° gegen den Uhrzeigersinn gedreht, so dass die beiden oberen Spitzen auf einer Höhe liegen.

Das größte Problem dabei ist, dass man dabei leider nicht an einer gerade Linien entlang schneiden kann, die fraglichen »Schnitt-Meridian« sind leicht gekrümmt. Beinahe hätte ich die Darstellungen der Cahill-Concialdi-Projektion daher im Arrangement der Software auf meine Website übernommen, aber Luca Concialdi war so nett, die Arbeit bei den Grafiken, die ich für die Website benötige, vorzunehmen.
Vielen Dank, Luca!

Update: Die aktuelle Version 3.3 der Kartenprojektions-Software Geocart beinhaltet die Cahill-Concialdi-Projektion, und zwar in Concialdis Arrangement.

Verzerrungen

Bevor wir uns nun die Verzerrungen der vier Projektion anschauen, ein paar Anmerkungen vorweg.

Fangen wir also wieder mit Kunimunes mutiertem AuthaGraph-Nachkommen an:

Die Verteilung der Winkelverzerrungen ist also tatsächlich jenen der van-Leeuwen-Projektion (welche als äquivalente Projektion keine Flächenverzerrungen aufweist) recht ähnlich. Zu den Flächenverzerrungen des MAGO lässt sich sagen, dass fast alle Bereiche der Karte Verzerrungen aufweisen, die höchsten Werte aber von den Landmassen ferngehalten werden.
Eindeutige Rückschlüsse auf die originale AuthaGraph-Karte lassen sich daraus nicht gewinnen (erwähnte ich schon, dass die Formeln der AuthaGraph nie veröffentlich wurden?), aber in Anbetracht der Tatsache, dass zumindest gewisse Bereiche noch höhere Abweichungen aufweisen, kann ich nur abermals sagen, dass es für falsch halte, dass diese Projektion den Namensteil Autha bekommen hat, welcher für authalic steht, einem englischen Begriff für Flächentreue.

Bevor wir mit Waterman und Cahill-Keyes weitermachen, möchte ich noch die Verzerrungs-Darstellung von einigen oft (z.B. für Wandkarten) verwendeten vermittelnden Projektionen zeigen: Winkel Tripel, Robinson, Miller und van der Grinten.

Hinweise: Aus Gründen, deren Erklärung jetzt zu kompliziert werden würde, habe ich die Darstellung von Miller und van der Grinten mit einem anderen Programm (Geocart) erzeugt, sie sehen daher etwas anders aus. Beim Miller werden zudem Ockertöne statt Grau für die Winkelverzerrungen verwendet.

Vergleiche dies nun mit den Darstellungen von Waterman und Cahill-Keyes – dies macht die Vorteile einer polyedrischen Projektion deutlich: Weder Winkel- noch Flächenverzerrungen erreichen derart hohe Werte, wie sie bei einer vermittelnden Projektion in der üblichen (heißt: un-unterbrochenen) Art üblicherweise auftreten:

Du siehst auch, dass es trotz der oberflächlichen Ähnlichkeit der einzelnen Blätter tatsächlich gewisse Unterschiede gibt. Andererseits kann man man meiner Meinung nach nicht sagen, dass eine von ihnen »besser« wäre. Wenn Du also für ein Projekt eine polyedrische Projektion benutzen willst, wirst Du mit beiden gut fahren. Wähle einfach die, deren Form Dir besser gefällt.

Kommen wir also nun zur Cahill-Concialdi Bat Projection:

Konforme Projektion haben immer mit erheblichen Größenverzerrungen zu kämpfen, das ist unvermeidbar. Aber siehst Du, wie herrlich der Cahill-Concialdi die schlimmsten Verzerrungen von den Landmassen (außer Antarktika) fernhält?
Eine visuell attraktive winkeltreue Projektion mit vergleichsweise niedrigen Verzerrungen – das gefällt mir wirklich, und ich muss sagen, dass sie prompt meinen bisherigen Favoriten der konformen Projektionen, den Guyou, an der Spitzenposition abgelöst hat!

Zum Abschluss sehen wir uns auch die Tissotsche Indikatrix der vier Projektionen an:

In diesem Zusammenhang: Eine Änderung auf der Website

Auf kartenprojektionen.de befindet sich in der Einzelansicht und der Vergleichs-Auswahl eine Filterbox, mit der man die Gesamtauswahl auf bestimmte Typen von Projektionen beschränken kann.
In diese Filter wurde nun auch der Typ der polyedrischen Projektionen aufgenommen.

Dafür wurde der Filter für unterbrochene Projektionen entfernt. Ich hatte schon von Anfang an darauf hingewiesen, dass die unterbrochenen Projektion eigentlich eh kein eigener Typ sind, stattdessen gehören sie einem der anderen Typen an (die meisten zu den pseudozylindrischen). Ich hatte zwar meine Gründe für diese Einteilung, aber wahrscheinlich war das trotzdem eine schlechte Idee.
Die unterbrochenen Projektionen werden nun unter ihrem eigentlichen Typ gelistet.

So, das war mein erstes Update des Jahres 2019.
Frohes neues Jahr!

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