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Mo, 9.1.2023 Das Durchtrennen von Land minimieren

Vor ein paar Tagen habe ich das Titelbild meines 2023er Projektionskalenders – die Mercator-Projektion – gezeigt. Ich habe erwähnt, dass die meisten Karten des Kalender auf 10° Ost zentriert sein werden, und habe eine weitere Grafik, die ich als OGABO-Version bezeichnet habe, präsentiert. Vielleicht habe einige von Euch bemerkt, dass letztere ein etwas anderes Projektionszentrum verwendet. Hier noch einmal die beiden Varianten zum direkten Vergleich:

Das habe ich getan, weil ich fand, dass eine Darstellung wie diese – ohne Gradnetz- und Begrenzungslinien – Unterbrechungen von Landflächen so weit wie möglich vermeiden sollte. Nachdem ich ein bisschen herum probiert hatte, entschied ich, dass ein Projektionszentrum auf 11,55° Ost (oder 11°33′0″O) – was einem Begrenzungsschnitt entlang des Meridians auf 168,45° West (oder 168°27′0″W) entspricht – die beste Wahl ist.
Das möchte ich näher erläutern; und auch auf andere Möglichkeiten, Unterbrechungen auf Landflächen zu vermeiden, eingehen – zunächst aber ein paar Hinweise:

  1. Alles, was ich sage, bezieht sich (wenn nicht anders vermerkt) nur auf »ununterbrochene«[1] äquatorständige Weltkarten.
  2. Da Antarktika um den Südpol herum angeordnet ist, muss man diesen Kontinent aufschneiden. »Ohne Unterbrechungen von Landflächen« meint hier also »ohne Unterbrechung von irgendwelchen Landflächen außer Antarktika«.
  3. Ja, meine bevorzugten 11,55° Ost rücken Europa in die Mitte der Karte, also mag man mir Eurozentrismus vorwerfen. Aber die Sache ist nun mal – wenn man den Schnitt durch Landflächen vermeiden will, hat man keine andere Wahl. Siehe unten.
    Nichtsdestoweniger gehe ich am Ende des Blogpost noch auf eine pazifikzentrierte Weltkarte ein.
  4. Gestandene Kartographen werden hier nichts Neues erfahren. Hier muss ich wohl irgendwo ein »wie üblich« einfügen…

Der beste Längengrad für den Schnitt

Bei einer üblichen Karte in äquatorständiger Lage musst du entlang eines bestimmten Meridians schneiden. Wenn du dabei so wenig Land wie möglich durchtrennen willst, muss der Schnitt durch die Beringstraße verlaufen. Irgendwo innerhalb des vergleichsweise schmalen rot markierten Balkens – es gibt einfach keine andere Möglichkeit!

Schauen wir uns die fragliche Region einmal näher an. Hier ist ein detaillierteres Bild der Beringstraße und einigen der Aleuten-Inseln, die hier ebenfalls von Interesse sind. Der Meridian auf 170° West wurde zur besseren Orientierung als gestrichelte Linie eingezeichnet.

 

Sankt Lorenz ist nich gerade eine große Insel, aber sie ist groß genug, dass ich es vorziehe, sie nicht zu durchschneiden. Der Schnitt muss also platziert werden zwischen dem Kap Prince Of Wales, das bei 168°10′W liegt, und der östlichsten Spitze von Sankt Lorenz auf 168°39′W. Diese beiden Grenzen werden durch die vertikalen roten Linien markiert.

Du kannst schon sehen, dass es nicht einen einzigen Meridian gibt, der es erlaubt, überhaupt keine Landfläche zu schneiden. In diesem Fall ist es eine der Aleuten-Inseln, nämlich Umnak, welche die Durchtrennung erleiden muss.

Eigentlich sind wir damit fertig. Wir haben einen schmalen Streifen von weniger als einem halben Breitengrad und es spielt kaum eine Rolle, wo genau in diesem Bereich du den Schnitt setzt. Aber nun, da ich einmal angefangen habe, will ich das auch zu Ende bringen. Also …

… schauen wir uns das noch genauer an. Die ist eine Grafik der Insel Umnak:


© OpenStreetMap

Umnak ist in einen nordöstlichen und einen südwestlichen Part aufgeteilt, die durch einen Isthmus verbunden sind. Es wäre herrlich, durch diese Landbrücke zu schneiden und beide Teile intakt zu lassen, aber leider ist das mit dem geraden vertikalen Schnitt, den wir brauchen nicht möglich. Also habe ich versucht, den nordöstlichen Teil intakt zu lassen und den südwestlichen zu durchschneiden – sowie umgekehrt.
Bedenke, dass auf der finalen Karte der NO-Teil am linken Rand der Karte erscheinen wird und der SW-Teil rechts. In den folgenden zwei Grafiken habe ich sie auf diese Weise arrangiert.

Vermutlich ist es eine Frage des Geschmacks, welche Variante man bevorzugt. Mit selbst gefällt die, welche durch den südwestlichen Teil schneidet, besser. Und dieser Schnitt ist genau bei den eingangs erwähnten 168,45° West (oder 168°27′0″W). Und wenn du so pedantisch bist wie ich, freut es dich sicher zu erfahren, dass (soweit ich das aufgrund des Datensatzes, mit dem ich arbeite, beurteilen kann[2]) dieser Meridian tatsächlich nur Antarktika und Umnak durchtrennt – selbst die kleinsten pazifischen Inseln bleiben intakt!
Und daher liegt mein bevorzugtes Kartenzentrum für ununterbrochene äquatorständige Weltkarten bei 11,55° Ost (oder 11°33′0″O) – falls es wichtig ist, dass Unterbrechungen von Landflächen so weit wie möglich vermieden werden sollen.

Aber nun muss ich zugeben: Mir selbst ist das meistens gar nicht so wichtig. Meistens bin ich mit dem Kartenzentrum auf dem Nullmeridian zufrieden. Auch die Tatsache, dass dann die Tschuktschen-Halbinsel, vom restlichen Sibirien abgetrennt, am linken Kartenrand erscheint, sehe ich eigentlich sogar als Vorteil, denn das vermittelt eine Vorstellung, wie du die Karte (in deinem Kopf) über ihre Begrenzungen hinaus fortsetzen musst. Auch beim Kalender hatte ich, wie kürzlich bereits erwähnt, andere Prioritäten: 11,55° Ost als Zentralmeridian zu verwenden, hätte zu einem leicht asymmetrischen Gradnetz geführt. Das sieht zwar nun auch nicht gerade furchtbar aus (siehe folgendes Beispiel), hätte mein Auge aber trotzdem gestört.

Aber manchmal ist es eben auch sinnvoll, Unterbrechungen von Land zu vermeiden. Daher meine Suche nach dem optimalen Meridian für diesen Zweck. Und daher komme ich nun auch zu anderen Möglichkeiten.

Andere Techniken und eine östliche Zentrierung

Es gibt noch andere Techniken, Unterbrechung an Land zu vermeiden. Eine davon habe ich schon im Kalender-Blogpost vom März 2021 gezeigt. In diesem Beispiel wird der Winkel Tripel Bartholomew über seine üblichen Begrenzungen hinaus erweitert, um eine rechteckige Fläche zu füllen:

Oder, ohne ihn ein ein Recheck zu zwingen, ein Beispiel des Wagner IX, welcher den Bereich zwischen 160°W und 180° doppelt zeigt:

Obgleich dies tatsächlich alle Unterbrechungen an Land vermeidet – egal, welcher Teil der Erde dich interessiert, er wird irgendwo auf der Karte ununterbrochenen gezeigt –, bin ich kein großer Freund von Wiederholungen. Aber das ist nur meine Meinung, das muss dich also nicht kümmern. Schlimmer ist: Ich kenne keine Kartenprojektions-Software, welche Wiederholungen wie diese (vernünftig) unterstützt.[3] Auch für die zwei oben gezeigten Grafiken musste ich mit ein paar Tricks arbeiten.[4]

Auf eine weitere Technik (die ich vor einigen Monaten schon in einem anderen Zusammenhag gezeigt habe) komme ich gleich noch zu sprechen. Zunächst aber sehen wir uns eine pazifikzentrierte Weltkarte an. In diesem Fall ist es unvermeidbar, außer Antarktika noch weitere größere Landflächen zu durchschneiden (und ja, Island zähle ich zu den »größeren« Landflächen). Ich entscheide mich für das spärlich besiedelte Grönland – der richtige Ort für den Schnitt liegt dann zwischen der Westspitze von Island (≈ 24°40′W) und der Ostspitze von Brasilien (≈ 34°30′W):

Ich wähle 26° West und somit ein Kartenzentrum auf 154° Ost – ich werde dir weitere »Beweisbilder« ersparen, aber dies hält zumindest die azorischen, kapverdischen und die Südlichen Sandwichinseln frei von Schnitten. Darüber hinaus werden – zumindest laut dieser Karte – auch keine Städte oder sonstigen Siedlungen auf Grönland durchtrennt.
Hier ist eine Karte mit diesem Zentrum:

Das sieht für mich schon recht ordentlich aus.
Es gibt allerdings einen Haken bei den pazifikzentrierten Karten, aber auf den gehe ich im Januar Februar März April-Teil des diesjährigen Kalenders ein. Ein anderer Stolperstein kann beseitigt werden; wenn du das durchtrennte Grönland unerträglich findest, kannst du auf die o.g. »weitere Technik« zurückgreifen – nämlich eine Erweiterung, die z.B. so aussehen könnte:

Nun werden zwar alle Schnitte durch Land vermieden, aber das führt zu einer unregelmäßigen äußeren Form der Karte. Nichtsdestoweniger gefällt mir diese Lösung besser als Wiederholungen. Leider geht auch das nicht mit jeder Software – auch hier musste ich auf einen Trick zurückgreifen, der aber nur mit zylindrischen und »kachelbaren« Projektionen funktioniert. Er besteht darin, Einzelteile einer Gesamtkarte auszuschneiden und entsprechend zusammenzusetzen – wie ich vor einigen Monaten am Beispiel von Markleys winkeltreuer tetraedrischer Karte gezeigt habe.

Und es gibt noch eine Technik. Sie kommt ohne Wiederholungen oder Erweiterungen aus und vermeidet trotzdem die Durchtrennung von Land, inklusive Antarktika und den pazifischen Inseln. Sie funktioniert mit jeder Projektion und jeder Projektionssoftware, mit der sich das Kartenzentrum ohne Einschränkungen festlegen lässt.
Man muss sich nur von der Idee einer äquatorständigen Karte verabschieden.

In diesem Beispiel habe ich das Projektionszentrum auf 36° Nord, 45° Ost, mit einer Achsenrotation von 37° gegen den Uhrzeigersinn gesetzt, also einer schiefständigen oder (hier) plagalen[5] Lage. Und tatsächlich werden alle Unterbrechungen an Land vermieden, aber natürlich ist die Anordnung der Kontinente recht ungewöhnlich und mag den Kartenbetrachter verwirren.
Irgendetwas stört immer. 😉

Nebenbei, 36°N/45°O/37° ist nicht die einzige Konfiguration, welche die Unterbrechungen von Land verhindert; es gibt auch andere, die das erreichen. Vor allem, wenn du nicht den Ehrgeiz hast, selbst die kleinsten Inseln einzubeziehen (die auf vielen Karten ohnehin nicht gezeigt werden).

Resümee

Bei den gewohnten Karten in äquatorständiger Lage gibt es keine Möglichkeit, alle Unterbrechungen von Land zu vermeiden. Man kann sich nur entscheiden, welches Stück Land durchtrennt werden soll. Wenn das Vermeiden der Schnitte gewünscht oder zwingend ist, kann man auf Wiederholungen, Erweiterungen oder einen plagalen Aspekt zurückgreifen.

Aber übertreibe es nicht mit der Suche nach dem perfekten Kartenzentrum! Sogar kleine Inseln zu überprüfen, wie ich es getan habe, mag für große Wandkarten relevant sein. Aber auf einer Karte in A3- oder tabloid-Größe werden diese Inseln wahrscheinlich gar nicht erst dargestellt.

… und eine Sache noch

Beim Betrachten des oben gezeigten plagalen Aspekts dachte ich mir, dass wir diese Art von Weltkarten öfter sehen sollten. Weil es eine gute Methode, das Durchtrennen von Land zu verhindern, ist. Weil es die Anordnung der Kontinente drastisch verändert, was uns daran erinnert, dass der übliche (äquatorständige) Blick auf den Globus nichts weiter als eine Konvention ist. Und weil manchmal fälschlicherweise behauptet wurde, die Authagraph-Karte sei die einzige Projektion, welche alle Kontinente inkl. Antarktika ohne Unterbrechungen zeigen kann.

Und daher habe ich beschlossen, dass (fast) alle Projektionen des diesjährigen Kalenders auch noch in der plagalen Lage gezeigt werden. Das Intro der 2023er Kalender-Serie wurde entsprechend aktualisiert. Die pazifikzentrierte Karte werde ich nur für wenige Beispiele zeigen. Aus Gründen, die dann wohl klar werden.

Quellenangaben / Fußnoten

  1. Streng gesehen gibt es natürlich keine »ununterbrochenen« Weltkarten – schließlich ist der begrenzende Meridian, von dem ich spreche, eine Unterbrechung. Aber üblicherweise bezeichnet dieser Begriff eine Karte, welche nur entlang einer Linie oder an einem einzigen Punkt unterbrochen wird.
  2. Die Daten, die ich zur Überprüfung genutzt haben, waren die Natural Earth 1:10m Physical Vectors, genauer gesagt die Coastline- und die Minor Islands-Shapefiles.
  3. Hinweis: Ich habe keine Ahnung, ob Avenza MAPublisher dieses Feature bietet.
  4. Zum Beispiel habe ich beim erweiterten Winkel Tripel auf das Verfahren zurückgegriffen, welches das Mitglied »Piotr« in einem Thread des mapthematics-Forum gezeigt und erklärt hat. Vielen Dank, Piotr!
  5. Plagale Lage: Eine Form der schiefständigen Lagen. Siehe z.B. die (englische) Erklärung und Illustration auf quadibloc.com. Der Begriff plagal wird in der deutschsprachigen Fachliteratur m.W. kaum verwendet. Ich bin auch nicht sicher, ob man die schiefständigen Lagen wirklich in drei Bereiche unterteilen muss… aber mir gefällt das Wort »plagal«. It’s got a sort of woody quality about it. 😉

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