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Fr, 25.11.2022 Vier Flexify-Projektionen und Gott-Wagner

Vor ein paar Wochen habe ich das Photoshop-Plugin Flexify erwähnt, welches eine große Menge verschiedener Projektionen erzeugen kann. Einige davon sind altbekannte Entwürfe, die ich auch in meiner Projektions-Kollektion aufliste (z.B. Hammer-Projektion, Winkel Tripel, Robinson-Projektion, Strebe 1995), und ein Heer von Projektionen eignet sich eher für dekorative Anwendungen – oder besser gesagt, für andere Zwecke als eine flache Karte (z.B. Cube, Rind 1, Shark 3 oder Sphericon 8/2​). Aber ich habe auch ein paar gefunden, die ich interessant genug fand, sie in meine Kollektion aufzunehmen.
Schauen wir sie uns an – und auch noch einen weiteren Entwurf, der mit Flexify nichts zu tun hat.

Drei winkeltreue hexagonale Projektionen

Zuerst fand ich… ääähhm, nein. Ich habe gar nichts »gefunden«, Contant Xarax hat mich auf die Anthracen-Projektion verwiesen; eine winkeltreue Karte, die aus drei regelmäßigen Hexagonen besteht und nach der Darstellung der chemischen Struktur eines polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffs benannt wurde. Man kann mit diesem Entwurf zu recht vorteilhaften Ergebnissen kommen, z.B. werden bei einer Zentrierung auf 30°O die schlimmsten Flächenvergrößerungen von Landflächen ferngehalten… zumindest größtenteil: Brasilien, Nordostindien, Myanmar bereiten mir ein bisschen Kopfzerbrechen, aber insgesamt ist die Karte in Ordnung.

Was mir gar nicht gefällt, ist dieser garstigen Schnitt durch Asien, vor allem da er (wie man an der Karte der Bevölkerungsdichte sehen kann) durch einige dicht besiedelte Gebiete verläuft.

Wegen dieses Schnittes hatte ich zuerst beschlossen, ich würde die Anthracen-Projektion nicht in meine Kollektion aufnehmen. Wie du sehen kannst, habe ich mich umentschieden: Es ist eine interessante Konfiguration, und diese Website dreht sich auch nicht um meine persönlichen Vorlieben.
Dann habe ich gesehen, dass Flexify auch die Phenalen-Projektion im Angebot hat (abermals nach der chemischen Struktur benannt), welche die gleichen drei Hexagone verwendet wie die Anthracen, allerdings in einer anderen Anordnung, wodurch der Schnitt vermieden wird. Normalerweise ziehe ich den äquatorialen Aspekt dem polaren Aspekt vor, aber in diesem Fall mache ich ein Ausnahme. Also wurde die Phenalen-Projektion, zentriert auf 90°N/30°O, zu meiner Projektions-Kollektion hinzugefügt:


Es gibt noch einen weiteren winkeltreuen hexagonalen Entwurf in der Flexify-Bibliothek, die Naphthalin-Projektion (und wenn du meinst, du könntest schon ahnen, wie sie zu ihrem Namen gekommen ist – ja, du hast Recht). Hier wird die Welt in zwei Hexagonen dargestellt. Mein bevorzugtes Projektionszentrum liegt auf 15°N/20°W:


Ich finde, dass die Verteilung der Flächenvergrößerungen auf den Kontinentalflächen äußerst vorteilhaft ausfällt! Ja, Neuseeland wird sichtlicht vergrößert und Australien hat einen kleinen »Buckel«, aber beide Nachteile springen weniger ins Auge als in der Guyou-Projektion, die ich vor ein paar Jahren hinzugefügt habe. (Zugegebenermaßen ist dies eher eine Folge davon, den zentralen Breitengrad auf 15°N zu setzen, als von der Projektion an sich.) Wenn man mit der ungewöhnlichen Form zurecht kommt, ist dies in meinen Augen ein sehr praxistauglicher winkeltreuer Entwurf.

Und dann habe ich noch eine Projektion von anderer Art in Flexify gefunden. Und da bin ich versucht zu sagen: Es war mir vorbestimmt, sie interessant zu finden… 😉

Eine aphylaktische lentikuläre Projektion

Als ich die Curvy-Projektion in der Flexify-Liste gesehen habe, dachte ich sofort: »Das sieht aus wie ein umbezifferter Wagner!« Auf den ersten Blick nahm ich an, es könnte eine Wagner-IX-Variante sein, aber dann fiel mir auf, dass der Entwurf keine gleichabständigen Parallelkreise zeigt: Ihr Abstand nimmt zu den Polen hin leicht ab. Also, wenn überhaupt, konnte es nur eine Wagner-VII-Variante sein, wie manche die meisten mancher eigenen Experimente.

Ich fing an, an den Konfigurationsparametern des flexiblen Wagners herumzudrehen, und bei vii@51.5-102.5-60-64-180 (ausgedrückt in der Böhm-Notation)[1] kam ich bei einer sehr guten Annäherung an. Sie zeigt keine 100%ige Übereinstimmung, aber ist nah genug, um sicher zu sein, dass die Verzerrungseigenschaften kaum von Flexifys Original abweichen würden. Hier ist meine Approximation:


Die Approximation anstelle der Grafik, die Flexify erzeugt, zu verwenden hat für mich einige Vorteile: Ich kann weiterhin Darstellungen dieser Projektion erzeugen, wenn die Flexify-Testperiode abgelaufen ist; ich kann dafür sorgen, dass sie genau so aussehen wie die anderen Grafiken auf meiner Website (beachte, dass das Gradnetz der oben gezeigten winkeltreuen Entwürfe ein wenig anders aussieht als sonst); und ich kann Visualisierungen der Verteilung von Verzerrungen erzeugen:

Die Isolinien werden gezeigt für eine maximale Winkelverzerrung von:
  10°,     20°,     30°,     40°,     50°,     und 60°.
Bei der Flächenvergrößerung, gezeigt im Verhältnis zum Wert in der Mitte der Karte, repräsentieren die Linien Werte von:
  1,2;     1,5;     2,0;     2,5;     3,0;     und 3,5.

Das ist wirklich nicht schlecht, besonders Alaska und Ostsibirien kommen besser weg als in… nun, wahrscheinlich jeder anderen (äquatorständigen, auf oder nahe dem Nullmeridian zentrierten) Projektion, die ich kenne. Allerdings schränkt die Doppelaxt-ähnliche Form die Verwendungsmöglichkeiten wohl ein. Übrigens wird die Projektion in der Flexify-Galerie tatsächlich mit »labrys« (= Doppelaxt) beschriftet, aber ich habe mich entschlossen, die weniger martialische Bezeichnung zu übernehmen.
In Geocart kann man meine Approximation bei Verwendung des generalized Wagner mit folgenden Werten rendern:
a = 1.749934, b = 1.745197, m = 0.988142, m2 = 0.58192, n = 0.569444 ;
in den d3-geo-projections-Skripten mit
d3.geoWagner().poleline(51.5).parallels(102.5).inflation(64).ratio(180)

Soviel zu den Flexify-Projektionen.
Mittlerweile ist meine kostenlose Probezeit des Plugins abgelaufen. Es handelt sich um ein großartiges und höchst empfehlenswertes Tool, wenn man Illustrationen diverser Kartenprojektionen anfertigen möchte (wie all jene, die ich in meiner Projektions-Kollektion zeige) und wird zu einem in meinen Augen vernünftigen Preis angeboten. Es fehlen jedoch alle Funktionen, die man zum Erstellen echter Karten benötigt (z.B. Beschriftungen, die an den richtigen geografischen Koordinaten positioniert werden müssen) und – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ich bereits fünf verschiedene Kartenprojektions-Programme verwende – bietet zu wenige Projektionen von der Art, die ich interessant finde und nicht schon mit einem der anderen Tools erzeugen kann. Also habe ich mich entschieden, Flexify nicht zu kaufen. Wenn du allerdings daran interessiert bist, Kartenprojektions-Grafiken zu erstellen, solltest du es mal ausprobieren. Es wird zwar als Photoshop-Plugin angeboten, aber ich konnte es auch erfolgreich in PhotoLine und Affinity Photo (Version 1.x, in der neuen Version 2 konnte ich es nicht testen) nutzen. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass es auch in anderen Applikationen, die Photoshop-Plugins unterstützen, funktioniert.

Kommen wir nun zur letzten Projektion für heute!
Als ich vermutete, bei der Curvy-Projektion handele es sich um eine Wagner-IX-Variante, fiel mir auf, dass ich etwas vergessen hatte…

Gott-Wagner-Projektion

Ich wollte diesen Entwurf schon vor Monaten in meine Kollektion aufnehmen, aber irgendwie ist mir das entfallen… 😳


Die Gott-Wagner-Projektion wurde J. Richard Gott III entwickelt, 2010 erstmal gezeigt[2] und 2021 formell vorgestellt [3]. Es handelt sich um eine Modifikation des Wagner IX[4], die darauf abzielt, den Winkel Tripel in Bezug auf die Gesamtverzerrungswerte zu übertreffen, gemessen nach der Goldberg-Gott-Metrik[5]. Die Böhm-Notation lautet ix@60-52-450-38.5, unter Verwendung gerundeter Werte für den zweiten und den vierten Parameter[6].

Unabhängig von der Frage, ob er wirklich eine »Verbesserung« gegenüber dem Winkel Tripel darstellt (der Vorsprung der Werte ist marginal, und andere Metriken könnten zu anderen Ergebnissen führen), handelt es sich definitiv um einen guten Entwurf, der sich für viele Anwendungszwecke eignet.

Unter den bereits gelisteten lentikulären aphylaktischen Projektionen hat der Frančula XIII wohl die größte Ähnlichkeit. Die Länge der Pollinie und das Längenverhältnis der Hauptachsen fallen bei den beiden sehr ähnlich aus, aber Frančulas Enwurf zeigt eine deutlich stärkere Krümmung der Breitenkreise:
Vergleiche Frančula XIII und Gott-Wagner.

Und noch eine Anmerkung…

Kürzlich habe ich in meinem Blogpost über die politischen Kartenbilder gesagt: »(…) manchmal reicht auch ein Blick auf eine politische Darstellung, um die Schwächen einer gegebenen Projektion zu entdecken«. Dies fiel mir auf, als ich mit Anthracen-Projektion mit dem Zentrum 35° Ost gerendert und mir Myanmar angesehen habe:

Aber natürlich ist das selten mal derart offensichtlich…

Quellenangaben / Fußnoten

  1. Mehr Informationen über Wagners Transformationsmethode, »das Umbeziffern« und die Böhm-Notation gibt es im Artikel Das Umbeziffern oder kürzer in diesem Blogpost oder in den Hinweisen beim Wagner-Variationen-Generator (WVG-7) oder .
  2. Sizing up the Universe von Gott & Vanderbei (2010)
  3. Flat Maps that improve on the Winkel Tripel von Gott, Goldberg & Vanderbei (2021).
  4. Genauer gesagt, sind sowohl Wagner IX, als auch Gott-Wagner Modifikationen der mittabstandstreuen Azimutalprojektion, erlangt durch die Verwendung des Umbezifferns.
  5. Goldberg & Gott, 2007:
    Flexion and Skewness in Map Projections of the Earth
    physics.drexel.edu/~goldberg/projections/goldberg_gott.pdf
  6. ix@60-52-450-38.5:
    Der zweite Parameter lautet eigentlich 90 / sqrt(3) (≈ 51,961524227066),
    der zweite 200 / (3 × sqrt(3)) (≈ 38,490017945975).

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